Mit dem Reisemobil von Arles nach Aigues Mortes
Der Weg von Arles in Richtung Süden führt in die Camargue. Auf einer schmalen Straße geht es zur Plage de Piémanson, dem sieben Kilometer langen feinsandigen Hausstrand von Arles. Von den 1960er bis in die frühen 2000er Jahre war er liebevoll chaotisch. Am Wasser saßen Familien unter Sonnenschirmen und etwas weiter zurückliegend gab es eine Bretterbuden-Siedlung, die einst von Hippies errichtet wurden.
Reisemobilisten schätzten die schöne, kostenlose Übernachtungsmöglichkeit mit Blick auf das Meer. Einen regulären Stellplatz mit Entsorungsmöglichkeit bot sich im nahegelegenen Salin-de Giraud, einer Siedlung von Arbeitern der Salz-Salinen. Die Architektur der Häuser erinnert eher an Belgien als an Südfrankreich – kein Wunder, denn sie wurden von der belgischen Firma Solvay, die hier die Salzgewinnung betrieb, um 1900 errichtet. Doch diesen Stellplatz gibt es nicht mehr, bedauert die Bäckerin, die früher auch auf dem „wilden“ Stellplatz am Strand von Piémanson ihre besonders leckeren Baguettes und Croissants verkaufte. Ihre Croissants sind immer noch hervorragend.
Inmitten der Sumpflandschaft des Rhône-Deltas statten wir dem Camargue-Museum „Mas du Pont de Rousty"einen Besuch ab. In dem ehemaligen Bauernhof (Mas)„Mas du Pont de Rousty" wird das Leben in der Camargue des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Landwirtschaft mit Reis. und Weinanbau, Viehzucht von Stieren und Pferden, Jagd, Fischerei, Salzgewinnung werden hier ebenso gezeigt wie traditionelle Feste und Brauchtum. Vom Museumsgebäude führt ein 3,5 Kilometer langer Rundwanderweg durch die Landschaft mit Sümpfen, Ried und traditionellen Hütten. An Aussichtspunkten und Beobachtungsposten erläutern Tafeln die zu entdeckenden Besonderheiten.
Saintes-Maries-de-la-Mer, die bekannteste Stadt der Camargue, in der einst van Gogh seine Boote am Strand malte, ist seit langem zu einem Touristenmagnet ersten Ranges geworden. Auch wenn sich im Zentrum Cafés, Restaurants und Souvenirläden aneinander reihen, so bleibt die Stadt doch reisemobilfreundlich und etwas von Ihrem ursprünglichen Charakter hat sie auch noch bewahrt.
An Wochenenden und Feiertagen kann man mit etwas Glück noch einige Damen sehen, die in arlesischen Trachten inmitten des Touristenrummels flanieren. „Gardians“, die Stierhirten der Camargue, reiten beim „Abrivado“ in schnellem Galopp durch die Stadt und treiben zwischen sich die Stiere von den Weiden in die Arena zur „Course Camarguaise“, der unblutigen provenzalischen Variante des Stierkampfs. Da dabei der Stier nicht getötet wird, sondern ihm lediglich Kokarden entrissen werden, kann er von Veranstaltung zu Veranstaltung hinzulernen. Auf den Plakaten steht daher der Name des Stiers in großen Lettern und die Namen der „Raseteurs“, die ihm in schnellem Lauf die Kokarden entreißen wollen, sind deutlich kleiner geschrieben.
Erfahrene Stiere lassen sich dann auch nicht mehr einfach die Kokarden abnehmen, sondern jagen ihrerseits die Raseteurs durch die Arena. Die müssen dann gegebenenfalls weit und hoch springen, um den Hörnern des Stiers zu entgehen. Das ist dann schon ein eigenartiges Gefühl, wenn man in der ersten Reihe sitzt, um einen idealen Fotoplatz zu nutzen und der flüchtige Raseteur nur wenige Zentimeter neben dem eigenen Kopf an die rettende Stange greift.
Keinem Raseteur ist vor der Arena von Saintes-Maries-de-la-Mer ein Denkmal gesetzt, wohl aber dem legendären Stier Vovo, der Weihnachten 1944 geboren wurde und in den 1950er Jahren mit besonderer Aggressivität in den Arenen der Region auftrat, bevor er 1959 verstarb. Dass er nicht geschlachtet wurde, versteht sich von selbst.
Am östlichen Ende des Rhône-Deltas, an der kleinen Rhône liegt Aigues-Mortes, die Stadt der „toten Wasser“, wie der Stadtname übersetzt heißt. Es ist eine besonders geschichtsträchtige Stadt Frankreichs, die schon auf den ersten Blick durch ihre vollständig erhaltene Stadtmauer beeindruckt.
Bis in das 13. Jahrhundert hinein besaß der französische König kein Land in Süd-Frankreich. Das Gebiet der Provence gehörte zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, während das Languedoc-Roussillon den Königen von Aragón gehörte. Erst 1240 erwarb Ludwig IX. das Gebiet um Aigues-Mortes und ließ dort einen Hafen errichten, um am Kreuzzug teilzunehmen.
Damals lag Aigues-Mortes an den Ufern einer großflächigen Lagune und war durch Kanäle mit dem Mittelmeer verbunden. Eine einzige, auf einem Damm angelegte Straße verband die Stadt mit dem Festland. Der heute noch erhaltene Turm Tour Carbonnière sicherte diesen Zugang.
Im 18. Jahrhundert dienten die Türme der Stadt als Gefängnis für Hugenotten. Die durch ihre lange Gefängnisstrafe bekannt gewordene Marie Durand war hier 38 Jahre lang, von 1730 bis 1768, eingekerkert, da sie ihrem protestantischen Glauben nicht abschwor. Ihre in den Stein geritzte Inschrift „Resister“ blieb erhalten.
Otmar Steinbicker