Mit Reisemobil, Fahrrad und Kanu Ostfriesland entdecken
Der beliebten Ferienregion im Nordwesten nähern wir uns über die Autobahn A 31, die gerne auch als „Ostfriesenspieß“ bezeichnet. Vom Ruhrgebiet aus führt sie durchs Münsterland und die ehemaligen Moore des Emslands nach Norden. Wir nehmen die letzte Ausfahrt vor der Ems und orientieren uns in Richtung Jemgum. Der Kirchturm, den wir im Vorbeifahren sehen, wirkt mit Kreuz und Schiff als Wetterfahne eher wie ein Leuchtturm. Das passt in dieses von der Schifffahrt und von der Auseinandersetzung mit dem Meer im Zuge der Landgewinnung geprägte Rheiderland. Aufgrund seiner etwas abgeschiedenen Lage zwischen Ems und der Meeresbucht Dollart und den angrenzenden Niederlanden hat es als „Endje van de Welt“ seine Eigenart über die Jahrhunderte bewahren können.
Erstes Ziel ist der kleine Fischerhafen Ditzum, ein idyllisches kleines Örtchen, das einst auf einer Warft, einem künstlich aufgeworfenen Hügel errichtet wurde, um Sturmfluten zu trotzen. Eine stolze Windmühle, eine romanische Kirche und auch hier ein Kirchturm in Form eines Leuchtturms bilden ein reizvolles Ensemble.
Der großzügig und modern angelegte Reisemobilstellplatz am Deich gefällt auf Anhieb. Nur wenige Fußminuten sind es bis zum kleinen Hafen am Sieltief, das zugleich der Entwässerung dient. Hier legt die Emsfähre an, die Ditzum mit der Seehafenstadt Emden verbindet und hier gibt es auch einen Fischereibetrieb, der fangfrischen Fisch verkauft oder auch im kleinen, schlichten Restaurant schmackhaft serviert. Wir genießen eine ruhige Nacht und schlafen gut bei der kühlen und würzigen Seeluft. Morgens auf dem Weg zum Bäcker sehen wir die Windmühle in schönstem Licht.
Unser nächstes Ziel ist die Seehafenstadt Leer mit seiner sehenswerten Altstadt. 365 Häuser stehen hier unter Denkmalschutz. Auf dem Parkplatz „Große Bleiche“ finden wir mit etwas Glück noch einen der für Reisemobile reservierten Plätze. Zu Fuß sind wir schon bald in der Rathausstraße, dem Herz der Altstadt. Hier steht Haus Samson, das schönste historische Haus der Stadt. In unmittelbarer Nähe laden Cafés zum Verweilen ein. Jetzt sind es nur noch wenige Schritte bis zum alten Hafen, wo neben dem Rathaus noch das alte Gebäude der Waage steht. Wo früher Schiffsladungen gewogen wurden, befindet sich heute ein ansprechendes Restaurant. Am Kai dümpeln kleine Museumsschiffe. Selbstverständlich genießen wir noch vom anderen Ufer den schönen Panoramablick auf Rathaus und Waage. Für die Nacht haben uns dann einen sehr ruhigen Stellplatz neben der Windmühle im Ortsteil Logabirum ausgesucht.
Auch Emden ist seit langem reisemobilfreundlich. Hier lockt ein Stellplatz direkt am Alten Hafen mit Blick auf das Wasser. Dass die begehrten Plätze längst belegt sind, bevor wir ankamen, ist verständlich. Das Stadtzentrum ist fußnah erreichbar und hat am Delft Sehenswertes zu bieten. Vor dem Rathaus liegen hier der Seenotrettungskreuzer „Georg Breusing“, das Feuerschiff „Deutsche Bucht“ und der Heringslogger AE7 Stadt Emden als schwimmende Museen vor Anker. Im Rathaus birgt das Ostfriesische Landesmuseum die größte stadteigene Waffensammlung Deutschlands. Auf einer ganzen Etage, der „Emder Rüstkammer“, ist eine Vielzahl mittelalterlicher Rüstungen ausgestellt.
Man sieht dem Stadtzentrum aber auch an, dass es im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört wurde. Historische Gebäude sucht man vergeblich. Wir schwingen uns deshalb aufs Fahrrad, um über den Hafen hinaus zum Grüngürtel zu radeln, der den Stadtkern umgibt. Einst stand hier der Stadtwall mit mächtigen Festungsanlagen, die nie bezwungen wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert, als die Zwinger ihre militärische Bedeutung längst verloren hatten, wurden sie mit Windmühlen bebaut. Die Mühle „De Vrouw Johanna“ wurde in den 1990er Jahren restauriert und kann besichtigt werden. Von der „Roten Mühle“ steht noch der Stumpf, heute ein heute Teil des Kindergartens der evangelischen Kirchengemeinde Emden.
Weiter geht es nach Greetsiel, wo am Ortseingang ein großer Reisemobilhafen zum Besuch einlädt. Gleich gegenüber stehen als Wahrzeichen des Ortes die Zwillingsmühlen, zwei Galerieholländer-Windmühlen aus den Jahren 1706 (rote Mühle) und 1856 (grüne Mühle), die später mehrfach renoviert und restauriert wurden.
Der Weg zum Hafen führt durch von historischen Gebäuden gesäumte Straßen. Besonders bemerkenswert ist das „Hohe Haus“ unweit der Kirche, ein zweigeschossiger Backsteinbau aus dem 16. Jahrhundert sowie die zwischen 1380 und 1410 errichtete evangelisch-reformierte Kirche.
Rund um das Hafenbecken lassen sich die zahlreichen Gäste gerne in Cafés, Restaurants und Biergärten nieder. In der Sielstraße stehen alte Kapitänshäuser mit glockenförmigen Giebeln, wie man sie aus den benachbarten Niederlanden kennt und im Hafen ziehen die malerischen Krabbenkutter die Blicke an.
Für uns ist Greetsiel ein schöner Ausgangspunkt für eine ausgedehnte Radtour ins Hinterland der Halbinsel Krummhörn. Dort locken wenig entdeckte Warfendörfer, die einst wie Ditzum im Rheiderland zum Schutz vor Sturmfluten auf künstlich aufgeworfenen Hügeln errichtet wurden. In Pilsum zeigt die Kirche aus dem 13. Jahrhundert mit ihrem kreuzförmigen Grundriss noch ihren mittelalterlichen Wehrcharakter. In Manslagt wurde die Kirche um 1400 auf einer Warft errichtet. Das Taufbecken aus Bentheimer Sandstein stammt noch aus dem 13. Jahrhundert und die Kanzel wurde 1714 in Amsterdam gefertigt. In Groothusen blieb von einst drei Burgen die um 1490 neu errichtete, dreiflügelige Osterburg erhalten.
Am Rande des Dorfes Campen werfen wir einen Blick ins Landwirtschaftsmuseum. Mehr als 500 landwirtschaftliche Geräte aus der Zeit von 1850 bis 1950 wurden hier gesammelt. Zu den ältesten Kirchen der Krummhörn gehört die Kirche in Loquard aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
In Rysum haben wir das südliche Ende der Halbinsel Krummhörn erreicht. Die schmalen Straßen und Gassen lassen kaum Autoverkehr zu. Unterbrochen von ringförmigen Wegen führen sie strahlenförmig auf die Kirche zu, in der die älteste spielbare Orgel Nordeuropas steht. Wir haben Glück, der Organist probt gerade für den nächsten Gottesdienst und so können wir uns selbst von der Klangqualität dieser Orgel überzeugen. Am Ortsrand steht stolz die Rysumer Windmühle, ein dreistöckiger Galerieholländer, der ab 1989 wieder aufgebaut wurde.
Zurück radeln wir mit etwas Rückenwind über den Deich. Von der Aussichtsplattform des Campener Leuchtturm genießen wir einen Panoramablick über die Halbinsel der Krummhörn und das Wattenmeer. Er ist 65,3 Metern der höchste Leuchtturm Deutschlands. Einige Kilometer weiter erreichen wir den kleinen Pilsumer Leuchtturm. Der rot-gelb gestreifte Turm gilt seit den Tagen der Otto-Filme als eines der Wahrzeichen Ostfrieslands.
Was uns trotz der Küstennähe gefehlt hat, war ein richtiger Strand. Den finden wir schließlich in Norden-Norddeich, wo gleich zwei gepflegte Reisemobilstellplätze zum Aufenthalt einladen. Natürlich genießen wir nicht nur Sonne und Baden, sondern besuchen auch die Seehundstation, wo wir bei der Pflege kranker oder mutterlos aufgefundener Seehunde zusehen und uns über das Leben der Seehunde, Kegelrobben und andere Meeressäugetiere im Wattenmeer informieren.
Landeinwärts gelangen wir ins sagenumwobene Brookmerland. Nach schweren Sturmfluten 1373 und 1377 war der Hauptort Marienhafe für einige Jahrzehnte ein Seehafen. Von hier agierten die als „Likedeeler“ bekannten Seeräuber, zu denen der Legende nach auch Klaus Störtebeker gehörte.
Im Turm der Marienkirche stapelten die Piraten die Beute ihrer Raubzüge. Der damals rund 72 Meter hohe Turm war für die Seeleute eine wichtige Markierung. Da das Kirchendach auf der Nordseite mit Kupfer und auf der Südseite mit Schiefer gedeckt war, ließ sich der Hafen problemlos ansteuern.
Bittere Armut prägte dagegen die in der heutigen Gemeinde Südbrookmerland gelegene Moorkolonie Moordorf. Nach dem Urbarmachungsedikt Friedrich des Großen kamen ab 1767 zahlreiche Siedler, um das Moor trocken zu legen. Doch während in den benachbarten Fehnsiedlungen Kanäle zur Entwässerung gebaut wurden, überließ die preußische Verwaltung die ersten Siedler in Moordorf ihrem Schicksal. Die Siedler lebten in armseligen Lehmkaten, die oftmals aus nur zwei Räumen bestanden: einem Wohnraum und einem Stall. In diesen Hütten übernachteten nicht selten drei bis vier Kinder in einem Bett. Die Lebensbedingungen in Moordorf verbesserten sich erst mit der Errichtung des VW-Werkes in Emden 1964, in dem in den 1970er Jahren mehr als ein Viertel der Einwohner Arbeit fand. Eindringlich zeigt das Moormuseum Moordorf als Museum der Armut die schwierige Entwicklungsgeschichte des Ortes.
Schmucke Fehnsiedlungen mit langgezogenen Kanälen, die von weißen Klappbrücken überspannt werden, finden wir in Großefehn mit seinen verschiedenen Ortsteilen und großen Galerieholländer-Windmühlen. Da macht das Radeln durch die flache Landschaft Vergnügen und der Stellplatz am Campingplatz in Timmel ist ruhig und landschaftlich reizvoll am Wasser gelegen.
Eine andere Art der Landschaftserkundung entdecken wir in Rhauderfehn südöstlich von Leer. Dort ist der Reisemobilstellplatz zugleich eine Paddel- & Pedal-Station, wo man ein Kanu mieten kann, um eine Rundtour zu unternehmen oder auch, um eine Strecke zu paddeln, das Kanu an einer anderen Station abzugeben und mit einem Leihfahrrad zurückzukehren.
Der Wasserlauf des Burlager-Langholter Tiefs liegt weit unter Straßenniveau und die wenigen Autos und Radler, die die Landstraße zwischen Westrhauderfehn und Langholt passieren, scheinen für die Paddler in höheren Sphären zu schweben. Unten schlängelt sich das Flüßchen in weiten Kurven, die immer wieder neue Perspektiven freigeben. Das rotbraune Wasser, das dem Wasserlauf im Volkmund den Namen „Rote Riede“ einbrachte, kontrastiert mit dem satten Grün der Brennesseln an der Uferböschung. Schließlich verläßt die Straße den Fluß. Nur das Vogelgezwitscher aus dem nahen Landschaftsschutzgebiet „Langholter Meer“ durchbricht ein wenig die absolute Stille. Malerisch zeichnet sich das Grün der schlanken Pappeln vom blauen Himmel mit den großen weißen Blumenkohlwolken ab. Hin und wieder taucht ein Haubentaucher beim Anblick des knallroten Bootes verschreckt tief ins Wasser unter oder eine Bisamratte flüchtet mit schnellen, nervösen Schwimmzügen zu ihrem Bau in der Uferböschung.
Otmar Steinbicker