Mit dem Reisemobil durch das Burgenland
Ob als "Meer der Wiener" oder als Europas einziger Steppensee: Der Neusiedlersee ist weit über die Grenzen Österreichs hinaus als Urlaubsregion bekannt und beliebt. Otmar Steinbicker hat den Neusiedlersee besucht und im Süden des Burgenlandes außerordentlich reizvolle und zum Teil noch touristisch wenig erschlossenene Reiseziele entdeckt.
Vor allem für Familien mit Kindern ist der flache, selten mehr als 1,50 Meter tiefe Neusiedlersee ein ideales Ziel für Badeferien. Lediglich der bis zu vier Kilometer breite Schilfgürtel, der den See umgibt erschwert den Zugang. Eine Ausnahme bildet Podersdorf, wo ein großer und doch oft ausgebuchter Campingplatz einen eigenen Sandstrand und ideale Bedingungen zum Schwimmen, Segeln und Surfen bietet.
Podersdorf ist zugleich ein günstiger Ausgangsort für Ausflüge in den Seewinkel, das Herz des Nationalparks Neusiedlersee mit seiner charakteristischen Salzflora und Fauna. In dem 15.000 Hektar großen Naturreservat ermöglichen ein Besucherleitsystem und Wanderwege ökologisch verantwortliche Besichtigungstouren entlang der besonders schutzwürdigen Zonen. Vor allem in den Monaten Mai und Juni, wenn die Trockenrasen- und Feuchtwiesengebiete in voller Blütenpracht stehen, kann die Vielfalt der Vogelwelt am besten bewundert werden. Für interessierte Besucher bietet die Nationalparkverwaltung in Illmitz auch geführte Fußwanderungen an. Aber auch mit dem Fahrrad lässt sich auf gut markierten Routen die einzigartige Landschaft erschließen, wo der Blick über die weite Ebene bis zum flimmernden Horizont schweift, um hin und wieder einen Reiher oder einen anderen Wasservogel zu entdecken.
In Illmitz hat sich das charakteristische burgenländische Ortsbild gut erhalten und lädt zu einem Bummel ein. Das über 250 Jahre alte Haus in der Florianigasse 8 mit herrlichem Barockgiebel und Schilfdach gehört zu den schönsten Bauwerken am Neusiedler See. Am Ortsrand in Richtung See liegt rechter Hand hinter einem alten Ziehbrunnen die Zicklacke. Diese "Lacken", von denen es eine Vielzahl in der weiten Puszta-Landschaft des Seewinkels gibt, werden teils vom Grundwasser, teils durch Niederschläge gespeist. Sie haben keinen Abfluss und trocknen daher im Sommer auch teilweise aus. Dann bedeckt weißes Salz ("Zickstaub") den Boden, der eine seltene Pflanzenwelt beherbergt, wie sie oft nur an Meeresstränden zu finden ist.
Ein burgenländisches Idyll findet sich im benachbarten Apetlon: Vor dem Barockhaus am Dorfplatz mit seinem geschwungenen Volutengiebel, dem typischen Schilfrohrdach und dem Storchennest auf dem Kamin steht äußerst fotogen ein alter Ziehbrunnen. Auch Tschardaken sind im Ortsbild zu sehen, jene typisch burgenländischen Rohrscheunen, die zum Lagern von Maiskolben dienen.
In Neusiedl, dem Ort am Nordufer, der dem See den Namen gab, lohnt sich ein Besuch des Pannonischen Heimatmuseums. Der über siebzigjährige Eidler-Karl hat hier im Laufe von 20 Jahren eine chaotische Vielfalt von Hausrat, Handwerkszeug und alten Fotos zusammengetragen, durch die er gerne seine Gäste persönlich führt, um ihnen ein wenig von der widersprüchlichen Geschichte dieser Region zu erzählen, die bis 1921 zu Ungarn gehörte und bis heute deutsche, ungarische und kroatische Bevölkerungsgruppen vereinigt.
Durch Weinberge nähern sich die Reisenden Rust, dem bekannten Weinort am Westufer des Sees. Aufgrund des besonderen Mikroklimas können dort Weine von trocken bis hin zu edelsüß gedeihen, wie sie ansonsten nur in Tokay (Ungarn) und Sauternes (Frankreich) zu finden sind. Die Weinakademie Österreich mit Vinothek und Österreichischem Weinsalon hat im Seehof ihren Sitz. Noch immer leidet der Name Rust jedoch unter der Erinnerung an den Glykolskandal im Jahre 1985, als Panscher aus der Umgebung die Weinregion in Verruf brachten.
Nicht nur wegen des Weines sieht sich Rust gern als heimliche Hauptstadt des Burgenlandes. Als eine von drei Modellstädten für Denkmalspflege in Österreich besticht die Stadt auch durch ihr schönes, in sich geschlossenes, charakteristisches Ortsbild, in dem sich viele schöne Bürgerhäuser aus dem 16. bis 18. Jahrhundert vom Renaissance- bis zum Barockstil erhalten haben. Die von einer Wehrmauer umgebene gotische Fischerkirche vermittelt ein anschauliches Bild burgenländischer Kunstgeschichte. Und dann gibt es noch die Störche. Ein spezielles Storchenschutzprogramm wurde zum Schutz dieser Vogelart eingerichtet und stolz zählte man in den letzten Jahren jeweils mehr als zehn Storchenkinder.
Der Römersteinbruch im nahen St. Margarethen zählt zu den ältesten und größten Steinbrüche Europas. Seit 2000 Jahren wird hier Stein abgebaut und die XV. römische Legion hinterließ eine Schriftplatte in der Steinbruchwand. Später wurden hier u.a. Steine für den Wiener Stephansdom und für die Bauten an der Wiener Ringstraße (Hofburg, Staatsoper, Burgtheater usw.) gebrochen. Die Freilichtnaturbühne im Steinbruchareal wird alle fünf Jahre für die Aufführung von Passionsspielen genutzt. Die nächstes Spiele finden im Jahre 1996 statt. Am 19. August 1989 ging der Name St. Margarethen durch die Weltpresse, als dort über 500 DDR-Flüchtlinge aus Ungarn eintrafen. Der Feldweg, der damals kurzzeitig geöffnet wurde, ist längst wieder schwer bewacht. Dieses Mal von der österreichischen Armee, die die EU-Grenze vor Wirtschaftsflüchtlingen aus Osteuropa abschottet.
Nur wenige Kilometer weiter, bei Mörbisch, wurde jedoch inzwischen ein spezieller Grenzübergang für Radwanderer und Fußgänger eingerichtet. Radler können so problemlos in Verbindung mit der Fähre zwischen Mörbisch und Illmitz den südlichen Teil des Neusiedlersees umrunden. Das Örtchen Mörbisch lohnt auf jeden Fall eine Besichtigung. So schön wie hier haben sich kaum irgendwo anders die schön geschmückten, typischen burgenländischen "Hofgassen" erhalten. Die Häuser stehen oftmals über mächtigen Kellergewölben, in denen ein ausgezeichneter Wein lagert. Mörbisch hat sich aber auch als Festspielort einen Namen gemacht. In diesem Jahr steht bei den Seefestspielen der Bettelstudent auf dem Programm.
Außerhalb des Neusiedlersees ist das Burgenland touristisch noch weitgehend unentdeckt, obwohl es auch dort außerordentlich reizvoll ist.
Ein Zentrum moderner Musik und Kunst ist die Cselley-Mühle im südöstlich gelegenen Oslip. Die ein- und zweigeschossigen Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Mühle, deren älteste Bauteile bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, waren in den Nachkriegsjahren verfallen. Anfang der 70er Jahre begannen junge Künstler mit viel Eigeninitiative die Gebäude wieder herzurichten und zu einem Kultur- und Ausstellungszentrum auszubauen. Heute treten dort so bekannte Stars wie Joe Cocker, José Feliciano oder Konstantin Wecker auf, aber auch traditionelle Folklore-Ensembles wie die kroatische Tamburriza-Gruppe aus dem benachbarten Trausdorf.
Der bewegten burgenländischen Geschichte begegnet man auf Schritt und Tritt. Auf dem Weg nach Süden erinnert Burg Forchtenstein an die Türkenkriege. Als wichtige Grenzfestung hart umkämpft, widerstand die Burg den türkischen Angriffen und wurde niemals eingenommen. Aus dieser Zeit stammt der "Türkenbrunnen", den türkische Kriegsgefangene 142 Meter tief in den Dolomitfelsen graben mussten. Die 150 Meter lange Brunnenkette ist im ehemaligen Waffenarsenal neben verschiedenen Feuerwaffen, schweren Hakenbüchsen und mittelalterlichen Handgranaten ausgestellt.
Über Oberpullendorf geht die Fahrt weiter nach Süden zu einer der bedeutendsten Burgen Österreichs in Lockenhaus. Der romanisch-gotische Wehrbau besitzt einen malerischen Burghof und einen Rittersaal mit prächtig erhaltenem gotischen Kreuzrippengewölbe. Aufgrund ähnlicher Stilmerkmale wie bei Kreuzritterburgen in Syrien wird vermutet, dass er in frühere Zeiten den Tempelrittern als Kapitelsaal gedient hat. Vielerlei Legenden und geheimnisvolle Sagen ranken sich um dieses Thema. Ein Fresko des hl. Nikolaus in romanisch-byzantinischem Stil in der Kapelle der Hochburg gilt als ältestes Kulturdenkmal des Burgenlandes. Heute ist in der Burg ein Hotel mit einem ansprechenden Restaurant eingerichtet.
Weiter südwestlich liegt der Ort Bernstein, wo nicht nur erneut eine Burg mit Alchemistenküche, Burgverlies und Folterkammer zu besichtigen ist, sondern auch ein Felsenmuseum zum Besuch reizt. Seit dem Mittelalter wurde hier Bergbau betrieben, auch Gold und Silber geschürft, vor allem aber Edelserpentin abgebaut. Dieses grünschimmernde Gestein ("österreichische Jade") lässt sich ähnlich bearbeiten wie Hartholz und so drechselt man daraus u.a. Vasen und Dosen. Das kleine, sehenswerte Museum zeigt die Geschichte des Serpentin-Abbaus von den Anfängen mit Spitzhacke und Meißel bis zur modernen Bergtechnik der Gegenwart. Darüber hinaus sind aus Edelserpentin gefertigte Plastiken des Künstlers Otto Potsch sowie eine umfangreiche Mineraliensammlung zu bewundern.
Bad Tatzmannsdorf hat sich nicht nur mit seinen drei natronsauren Mineralquellen einen Namen als Kurort gemacht. Mit seinem Freilichtmuseum bietet es einen ausgezeichneten Einblick in die ländliche Architektur des südlichen Burgenlandes. Strohgedeckte Bauernhäuser, Weinkeller, Blockhäuser und Holzstadel wurden in verschiedenen Orten abgetragen und hier wiederaufgestellt. Kleine Tafeln an den einzelnen Gebäuden erläutern anschaulich die jeweiligen Besonderheiten.
Vorbei an Burg Güssing gelangen die Reisenden schließlich nach Heiligenbrunn, eine kleine Gemeinde mit einem uralten Kellerviertel in einem Eichenhain. Hier werden die einfachen strohgedeckten Lehmbauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert noch in ihrer ursprünglichen Funktion als Weinkeller genutzt.
Im benachbarten Moschendorf hat man Häuser sind aus einem Umkreis von gut 10 Kilometern wiederaufgebaut und als Weinmuseum eingerichtet. Anschaulich gezeigt wird alles, was mit Reben, Wein und Fässern zusammenhängt, aber auch Wohn- und Lebensbedingungen der Weinbauern.
Hier am Beginn der Pinkataler Weinstraße lädt eine Vinothek zum Probieren der Weine des Südburgenlandes ein. Zu den lokalen Spezialitäten gehört der Uhudler, ein etwas gewöhnungsbedürftiger Tropfen mit leichtem Waldbeergeschmack, der aus unveredelten amerikanischen Traubensorten gekeltert wird, die nach der großen Reblausplage des vergangenen Jahrhunderts nach Europa gelangten.
Otmar Steinbicker