Ungarn
Mit dem Reisemobil nach Eger
Ein gastfreundliches Ungarn, abseits der Klischees von Puszta und Plattensee, entdeckte Otmar Steinbicker weiter östlich zwischen Eger und dem Bükk-Gebirge.
Von der österreichisch-ungarischen Grenze bis Budapest sind die Reisenden in einem dichten Pulk deutscher und österreichischer Fahrzeuge in Richtung Osten unterwegs. Doch östlich der Metropole bekommen nichtungarische Autokennzeichen allmählich Seltenheitswert.
Flimmernde Hitze liegt über der schnurgeraden Autobahn durch die Puszta. Erst kurz vor Eger wird die Landschaft etwas abwechslungsreicher. Auf sanften Hängen gedeihen Sonnenblumen und natürlich der Wein, der Eger unter dem alten deutschen Namen Erlau weltbekannt gemacht hat.
Für die Ungarn bedeutet Eger mehr als nur Weingenuss. Seit dem 11. Jahrhundert ist die Stadt Bischofssitz und ihre ehemalige Kathedrale sollte im 15. Jahrhundert zur größten Hallenkirche Mitteleuropas ausgebaut werden, ein Projekt von den Ausmaßen des Kölner Doms, das nie verwirklicht wurde.
Stattdessen kamen die Türken. 1526 schlugen sie das ungarische Heer bei Mohács vernichtend und drangen scheinbar unaufhaltsam nach Nordwesten vor. Italienische Baumeister rüsteten die bestehende Burg zu einer trutzigen Festung auf, doch die Mauern allein hätten 1552 dem Ansturm der Türken nicht widerstanden.
Mut, List und Zähigkeit waren ebenso nötig, als der Burghauptmann István Dobó mit nur 2000 Mann Besatzung sowie Frauen und Kindern vierzig Tage lang einer erdrückenden türkischen Übermacht standhielt.
Die sorgfältig restaurierten Überreste der Burg, die 1702 vom österreichischen Kaiser Leopold I. nach dem ungarischen Aufstand der Kuruzzen gegen die Habsburger zerstört wurde, sind natürlich das erste Ziel der Stadtbesichtigung. In den Kasematten, wo in den Tagen der türkischen Belagerung die Frauen und Kinder lebten, oder in der Bastei mit ihrem Kanonensaal lässt sich noch ein wenig die Atmosphäre jener kämpferischen Zeit nachspüren, bevor die großartige Aussicht auf die Stadt nach draußen lockt.
35 Meter hoch ist das gut erhaltene Minarett in der Stadtmitte, das nördlichste Zeichen türkischer Herrschaft in Europa. Denn nur gute 40 Jahre hatte Eger nach der ersten Angriffswelle Ruhe, bevor die Türken wiederkamen und im Jahre 1596 die Stadt einnahmen, um sie bis 1687 in ihr Osmanisches Reich einzugliedern.
Nach dem Abzug der Türken schufen im 18. Jahrhundert Baumeister, Bildhauer und Maler aus Österreich und Böhmen den "Erlauer Barock" und gestalteten Eger so zur schönsten Barockstadt Ungarns.
Durch kleine Gassen mit Kopfsteinpflaster geht es hinunter zum Dobó-István-Platz mit der Minoritenkirche, der schönsten Barockkirche Ungarns. Sie wurde nach einem Entwurf von Kilian Ignaz Diezenhofer, dem Baumeister bedeutender Barockkirche in Prag errichtet. Das Gestühl ist mit Rokokoschnitzereien reich geschmückt.
Weiter durch die Fußgängerzone, vorbei an Cafés mit überdachten Terrassen, geht es zur Basilika, der im klassizistischen Stil erbauten zweitgrößten Kirche Ungarns. 2000 Pfeifen zählt die gewaltige Orgel, auf der täglich zur Mittagszeit ein Konzert gegeben wird.
Nach soviel Kultur tut ein Aufenthalt im Strandbad gut, das auf die Zeit der türkischen Besatzung zurückgeht. Die 28-32° heißen Thermalquellen werden übrigens auch zu Kurzwecken eingesetzt bei Kreislaufbeschwerden, Schilddrüsenerkrankungen sowie bei chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparats.
Natürlich darf ein Aufenthalt in Eger nicht ausklingen ohne eine Weinprobe. "Erlauer Stierblut" (Egri Bikavér) ist Ungarns bekanntester Rotwein. Die Bezeichnung "Stierblut" stammt übrigens aus der Türkenzeit, als den gläubigen Moslems der Genuss von Alkohol verboten war, nicht aber das Trinken von Stierblut. Als bester Weißwein gilt das "Erlauer Mägdelein".
Beliebtester Ort für eine Weinprobe ist das Restaurant "Tal der schönen Frauen" mit Zigeunermusik und der Möglichkeit für Reisemobilisten, auf dem großen Parkplatz des Restaurants zu übernachten. Wer jedoch größeren Wert auf die Qualität des Weins legt, wird den Keller des Weinmuseums aufsuchen. Das Museum bietet unabhängig von einer Weinprobe dem Besucher eine Darstellung der Geschichte des Weinanbaus in Eger vom 14. Jahrhundert bis heute.
Nach soviel Stadt lockt die Natur. Auf der Nationalstraße 25 rollt das Reisemobil nach Norden Bükk-Gebirge, Ungarns größtes zusammenhängende Waldgebiet. "Gebirge_ ist ein etwas zu anspruchsvoller Ausdruck für die hügelige Landschaft, aber aus der Perspektive der extrem flachen Puszta ist man hier dem Himmel schon recht nah.
Das müssen auch die Zisterzienser gespürt haben, die 1232 in Bélapátfalva eine Abtei errichteten. Zwar sind vom Kloster nur noch die Grundmauern bestehen geblieben, doch in Ungarns einziger erhalten gebliebener romanischer Klosterkirche zeugen pflanzenverzierte Säulenkapitelle noch heute vom französischen Einfluss. Die Zisterziensermönche, die hier lebten, bearbeiteten ihre Felder selbst und führten den Wein- und Obstanbau in Ungarn ein.
Auf dem Campingplatz in Szilvásvárad steigen die Reisenden vom Reisemobil in eine Kutsche um. Ein Lippizanergespann zieht sie in das romantische Szalajka-Tal. Über eine wunderschöne Allee mit ausladenden Kastanien führt die Fahrt bergan, vorbei an Forellenteiche, kleine Seen und Quellen mit kristallklarem, wohlschmeckendem Bergwasser. Würzige Waldluft steigt in die Nase und macht hungrig. Das kleine, eher unscheinbare Gartenrestaurant Csobogó am Eingang des Szalajka-Tales bietet eine erstaunlich große Speisenauswahl v.a. an Fisch und Wild.
Ein weiterer Ausflug führt von Eger aus auf der Nationalstraße 24 nach Nordwesten ins Mátra-Gebirge. In Sirok thront eine alte Burgruine auf einem Felsen hoch über der Stadt. Ein in Fels gehauener steiler Gang führt zu der Anlage, die 100 Jahre lang den Türken als Zwingburg diente.
Hinter Recsk verläuft die Straße über einige Kilometer als wunderschöne Kastanienallee. Dann ist das Kutschenmuseum in Parádfürdö erreicht mit seiner schönen Sammlung von Kutschen und Pferdeschlitten aus dem 19. Jahrhundert.
Hinter Parád führt die Straße schattig und kurvenreich durch Buchen- und Eichenwälder zum Kékestetö, dem mit 1.015 Metern höchsten Berg Ungarns. Weit reicht der Blick auf Aussichtspunkt nach Süden in die Tiefebene und nach Norden bis in die slowakischen Berge.
Doch nicht nur zum Betrachten, auch zum Wandern lädt die Landschaft mit ihrem Ein dichten Netz an gutmarkierten Wanderwegen ein. Mal ist ein schöner Ausblick, der zum Ausruhen reizt, dann wiederum ein Meiler, mit dem Köhler noch heute wie in alten Zeiten die Holzkohle produzieren.
Auf der Nationalstraße weiter talwärts eröffnet sich eine wunderschöne Aussicht auf Gyöngyös, das. Trauben, Kirschen, Pfirsiche und Aprikosen reifen in den Wein- und Obstgärten, die die in einem weiten offenen Tal liegende Stadt umrahmen. Erntefrisch werden die Produkte jeden Freitag auf dem Bauernmarkt angeboten.
Kulturinteressierte zieht es in die ursprünglich gotische, später barockisierte Franziskanerkirche und in die nahegelegene Schatzkammer im Haus der hl. Krone, die kostbaren Kirchenschmuck birgt, darunter seltene Kelche mit Verzierungen in Ledernadel-Handarbeit. Einen Abstecher lohnt die spätgotische Kirche in Gyöngyöspata, mit ihrem acht Meter hohen holzgeschnitzten Hauptaltar.
Für die Rückfahrt nach Eger wählen die Reisenden die Straße, die südlich am Fuße des Mátragebirges verläuft. In den Dörfern am Straßenrand wird traditionell Weißwein angebaut, seit einigen Jahren auch Rotwein.
Nur 20 Kilometer von Eger entfernt liegt das Städtchen Mezökövesd, wo einst die Mátyo-Volksgruppe lebte, die um 1850 ihre alte Volkskunst zu außerordentlichem Farbenreichtum entwickelte. Hier wurden die schönsten ungarischen Trachten getragen, die noch heute im Mátyo háza, dem Museum, zu bewundern sind. Vorherrschend sind rote Blumenmuster auf schwarzem Grund. Rot gilt als Farbe des Sommers und der Lebenskraft, Schwarz als Sinnbild der Erde. Goldfäden symbolisieren Sonne und Himmel. Ähnlich wurden auch die Bauernmöbel bemalt, eine Volkskunst-Tradition, die noch heute liebevoll gepflegt wird.
Ebenfalls in Mezökövesd findet sich ein privates Museum für landwirtschaftliche Maschinen. 25 Jahre lang hat János Ráfis Hajdu seine Schätze gesammelt, zu denen knapp 20 Lokomobile, sowie Turbinen und Traktoren, Bauernhäuser, Schweinekoben, eine große Weinpresse und eine Schmiede gehören. Schmuckstück ist ein gewaltiges 6-Tonnen-Dampflokomobil aus Budapest aus dem Jahre 1904.
Weiter südlich, bei Tiszafüred, bietet sich schließlich auf dem Theiß-Stausee ausgiebig Gelegenheit zum Baden und Bootfahren. Und auch der Feinschmecker kommt nicht zu kurz, denn Fisch gibt es auf der Speisekarte in großer Auswahl. Für Liebhaber ungarischer Küche ist die scharf gewürzte Fischsuppe einen Versuch wert.
Otmar Steinbicker