Griechenland
Inselhopping im Ionischen Meer
Auf den Spuren des griechischen Sagenhelden Odysseus und venezianischer Seefahrer reiste Otmar Steinbicker durch die Inselwelt vor der Westküste Griechenlands.
Um Punkt 17 Uhr lösen die Matrosen die Leinen und das majestätische Fährschiff "El Greco" der griechischen Reederei "Minoan Lines" setzt sich in Bewegung. Ganz langsam durchpflügt es das Wasser des Canale della Giudecca und im späten Sonnenlicht erstrahlt die grandiose Kulisse Venedigs, die immer wieder zahllose Maler inspiriert hat. Der Campanile rückt ins Bild und bald darauf die kuppelreiche Kirche von San Marco und der Dogenpalast.
Hier, im Machtzentrum der einstigen Seerepublik fiel am Ende des 12. Jahrhunderts die Entscheidung, die griechischen Inseln in der Adria und in der Ägäis in Besitz zu nehmen und zwischen Italien und dem Orient ein eigenes Reich zu errichten. Die günstige strategische Lage der einstmals so reichen Handelsstadt Venedig wird augenscheinlich, als ein Lotse zusteigt, um den richtigen Wasserweg durch das Lagunengewirr zum offenen Meer zu finden. Feindliche Kriegsschiffe konnten sich in den händelreichen Zeiten des Mittelalters kaum einen Weg bis ins Zentrum bahnen, ohne auf Sand zu laufen oder vor die Kanonen der Verteidiger zu geraten.
Der klassische historische Seeweg auf den Spuren der Venezianer ist nur für Geschichtsinteressierte noch heute die schönste Reiseroute in die Ionische Inselwelt vor der griechischen Westküste. Erstes Ziel ist dabei Korfu, die am stärksten italienisch geprägte Insel Griechenlands. Bis zum Ende der Republik Venedig im Jahre 1779 blieb Korfu im Machtbereich der Dogen. Danach übernahmen vorübergehend Franzosen und Engländer die Herrschaft, bis Korfu 1864 an das befreite Griechenland übergeben wurde. Eine türkische Besatzung, die die anderen Regionen Griechenlands bis zu 400 Jahre lang erlitten, blieb den Korfioten erspart.
Es ist bereits gegen Mitternacht, als die "El Greco" im Hafen von Kerkyra festmacht. Da ist es schwierig, auf Campingplatzsuche zu gehen, zumal in der Vorsaison noch viele Plätze geschlossen haben und auch auf offizielle Öffnungstermine selten Verlaß ist. Andererseits wird Freistehen in Griechenland als "Wildcampen" unter Strafe gestellt. Doch der freundliche Hafenpolizist ist zugänglich. Zwar müssen die Reisenden das Gelände des Zollhafens verlassen, dürfen aber auf dem großen Parkplatz am Anlegeplatz der innergriechischen Fähren eine ruhige Nacht verbringen.
Die Entdeckung der Insel beginnt am nächsten Morgen auf der gut ausgebauten, manchmal windungsreichen Straße nach Norden vorbei an bewaldeten Bergen, mächtigen Zypressen und ausgedehnten Olivenhainen, die ein viel grüneres Bild vermitteln, als die sonnenverbrannten Landschaften auf anderen Inseln und in anderen Regionen Griechenlands. Korfus Olivenöl gilt als eines der qualitativ besten. Schon auf den ersten Blick fällt die enorme Größe der Bäume auf, die ihre Verwandten in anderen Regionen Griechenlands aber auch in Italien oder Frankreich weit überragen.
Die kleinen Orte an der Nordostküste sind allesamt auf den internationalen Tourismus eingestellt. Restaurants, Hotels, Bars, Diskotheken, Mietwagen- und Mopedverleiher werben in vielen Sprachen um die Gunst der fremden Gäste. Kleine Wege führen hin und wieder von der Straße zu Sand- und Kiesstränden. Doch für ein ausgewachsenes Reisemobil sind diese Wege selten geeignet, eher für Mopeds oder für kleine PKW’s.
Gut ausgebaut ist dagegen die Straße zum Strand von "Kalámi". In dem deutlich touristisch geprägten Dorf weisen Schilder zum "White House", das dem britischen Schriftstellers Lawrence Durrell in den Jahren 1937 bis 1939 als Wohnsitz diente. Sein Roman ?Schwarze Oliven, Korfu, Insel der Phäaken?, erweist sich als interessante Reiselektüre und hilft, ein bißchen mehr von dieser Insel zu verstehen.
Der landschaftlich besonders reizvolle Abschnitt der Küstenstraße endet in Kassiópi im äußersten Nordosten, wo kleine bunte Fischerboote ruhig vor Anker liegen. Mit bloßem Auge läßt sich hier gut die keine drei Kilometer entfernte albanische Küste beobachten. Erstaunlich flach und noch wenig zugebaut zeigt sich die Nordküste zwischen Kassiópi und Sidari. In den wenigsten Küstenorten ist der Tourismus erst im Entstehen begriffen und Hotels und Pensionen versuchen sich vor allem als familienfreundlich zu profilieren.
An der Westküste ist Paleokastritsa der mit Abstand beliebteste Badeort. Die Zufahrtsstraße ist gut passierbar, doch die Tücken des griechischen Straßenverkehrs lauern in den kleinen, engen Dörfern. Und genau dort kommt natürlich der Bus, der die Dörfer mit Kerkyra verbindet, an der ungünstigsten Stelle unvermittelt entgegen. Da hilft nur Ruhe zu bewahren und gemeinsam mit dem Busfahrer die beste Ausweichmöglichkeit zu finden. Dieser wartet denn auch geduldig, bis das Manöver gelungen ist und winkt freundlich zum Abschied.
Weit oberhalb des Ortes, bevor sich die Straße in schmalen Kehren auf das die Strände am Meer stürzt, lädt ein Café-Restaurant zur Rast und zu einem traumhaften Panorama-Blick auf Paleokastritsa und seine kleinen Buchten ein. In ungelenker Schrift, hat der Besitzer stolz in englischer Sprache auf die gegenüberliegende Hauswand gepinselt, daß dort schon „Nero, Kaiser Wilhelm, Tito und Nasser und jetzt Sie“ gegessen haben.
Korfu-Kenner rühmen Paleokastritsa zu Recht als eines der schönsten Dörfer der Insel und in der Saison ist der kleine Ort hoffnungslos überlaufen. Doch in der Vorsaison ist der für griechische Verhältnisse geräumige Parkplatz noch leer und ein junger Mönch streicht in aller Ruhe das Parkwärterhäuschen mit grüner Farbe. Auch die Ampelanlage, die auf der sehr schmalen, kurvenreichen Straße zum hochgelegenen, sehenswerten Kloster aus dem 16. Jahrhundert das unvermeidliche Verkehrschaos in erträglichen Grenzen halten soll, ist jetzt noch ausgeschaltet.
Als "Geheimtipp" hatten Freunde den Nachbarort Liapades mit auf den Weg gegeben. Kaum irgendwo sonst könnte man noch so viele alte Frauen in korfiotischer Tracht mit der weißen, mühsam gewickelten Haube sehen. Mangels Parkgelegenheit am Ortseingang schrauben sich die Reisenden mit ihrem Alkoven höher und höher in das Dorf. Doch dann, kurz nach dem entgeisterten Blick eines alten Mütterchens, setzt sich die halbwegs befahrbare Straße in engen Gassen fort, die gerade noch schmal geschnittenen, kurzen PKW’s Durchfahrt gewährt. Da hilft nur noch ein kurz entschlossenes Wendemanöver, Millimeterarbeit zwischen Hauswänden, parkenden Autos und jähen Gräben, das - auch ohne die landestypische Anrufung aller Heiligen.
Alte venezianische Häuser, kleine Plätze und schmale hohe Gassen bilden das malerische historische Zentrum von Kerkyra. Der schönste Blick auf die Stadt und den beiden mächtigen Forts, die 1716 erfolgreich der türkischen Belagerung trotzten, bietet sich zum Abschied bei der Überfahrt nach Igoumenitsa. Während der fast zweistündigen Tour werden in einer kleinen Bar auf dem Oberdeck der einfachen Fähre Getränke und Snacks serviert. Ein bärtiger, alter Seemann zappt derweil durch die Fernsehprogramme von Gameshows und Werbesendungen.
Auf den Küstenabschnitt zwischen Igoumenitsa und Preveza auf dem griechischen Festland wollen die Reisenden trotz aller Vorliebe für das Inselhopping nicht verzichten. Der kleine Hafen von Parga, mit seiner kesselförmigen Bucht, der traumhaften Küstenlandschaft und den vielen Tavernen zählt zu den schönsten Zielen Griechenlands. Weiter südlich locken im Sommer kilometerweite Sandstrände zu einem erfrischenden Bad im türkisblauen Meer und Kulturbeflissene zieht es zu den eindrucksvollen Überresten der antiken Stadt Nikopolis, die 31 v. Chr. Oktavian, der spätere Kaiser Augustus zur Erinnerung an die siegreiche Seeschlacht bei Aktion gründete.
Nur eine Drehbrücke trennt heute die Insel Lefkas vom Festland. Im langgezogenen Hafen der gleichnamigen Inselhauptstadt liegen Yachten aus vielen Ländern vor Ankern. Schwarz-Rot-Gold weht hier über Booten aus Hamburg und München. Von den Berghängen südwestlich der Stadt bieten sich immer wieder ausgesprochen schöne Blicke auf die abwechslungsreiche und für griechische Verhältnisse eher liebliche Landschaft der Ostküste, die manchmal eher an Sizilien oder Südfrankreich erinnert, als an die schroffen, verkarsteten Bilderbuchinseln der Kykladen.
Im kleinen Fischerhafen von Kariotes flicken Fischer ihre Netze und Tavernen und Cafés säumen den reizvollen Hafen von Nidri, in dem viele kleine und große Fischerboote vor Anker liegen. Im Sommer verkehrt von hier aus eine Fähre nach Kephallonia und kleine Passagierschiffe bieten Kreuzfahrten und Tagesausflüge rund um die Ionischen Inseln an. Zwischen dem Hafen und dem gegenüberliegenden Festland, dessen hohe, kahle Berge durch den Dunst schimmern, liegen wunderschöne kleine, bewaldete Inselchen. Auf der einen steht malerisch eine stattliche, herrschaftliche Villa, eine andere schmückt ein kleines weißes Kirchlein, wieder andere scheinen unbewohnt zu sein.
Solange die Sonne scheint, döst hier alles vor sich hin, erst in der Dämmerung beginnt das Leben. Fischerboote laufen ein und Jugendliche knattern auf ihren Mopeds vorbei. Dann überzieht das letzte Sonnenlicht die Festlandsberge mit einem zart rosa Schimmer und der Mond, der über der kleinen Inselwelt aufgeht, verleiht der Landschaft eine romantische Stimmung.
Durch eine verkarstete, fast alpenartig anmutende, weitgehend unbewohnte Bergwelt führt die mittlerweile gut ausgebaute Straße zur Westküste. Nördlich von Kalamitsi liegt der Traumstrand der Reisemobilisten: die Kathisma Beach, ein circa 500 Meter langer Sandstrand mit türkisblauem Wasser und für Mittelmeerverhältnissen hohem Wellengang mit weißen Schaumkronen. Da die Bucht nur für Autos zugänglich ist, nicht von Bussen angefahren wird und nur eine einzige Taverne bietet, ist sie zu keiner Zeit überlaufen. Aghios Nikitas, der „Geheimtip“ der Lefkas-Kenner an der Westküste, erweist sich dagegen als Flop. Der hochgepriesene Traumstrand mit feinstem Kies und sauberstem Wasser ist mittlerweile schlicht fort gespült.
Auf den Spuren des griechischen Sagenhelden Odysseus fährt die große, komfortable Fähre "F/B Kephallonia" von Patras aus zur gleichnamigen Insel. Vom Fährhafen Sami geht es über eine gutausgebaute Straße vorbei am Enos, dem höchsten Berg auf Kephallonia nach Argostoli, dem Hauptort der Insel. Auffallend ist hier auf den ersten Blick das überreiche Obst- und Gemüseangebot. Eine Einkaufsstraße mit Fußgängerzone bietet mitteleuropäischen Standard. Hier zeigt sich deutlich: Die Insel wird von vielen reichen Griechen bewohnt, die oft nach langem Auslandsaufenthalt in dieses schöne Fleckchen Erde ihres Heimatlandes zurückkehren.
Den Reichtum der Insel spiegelt auch das Volkskundemuseum wieder. Neben wunderschönen Ikonen, sind hier zahlreiche historische Möbel und Kleidungsstücke der reichsten Familien ausgestellt. Eine große Zahl der Ausstellungsstücke stammt aus dem Besitz der Familie Vergotis. Eine ausführliche Fotodokumentation zeigt die Schönheit der venezianisch geprägten Stadt vor dem großen Erdbeben von 1953.
Ein seltenes Naturphänomen bieten die Katavothres ("Schlünde") nördlich von Argostoli. Hier versickert Meerwasser im Erdinneren, um später am anderen Ende der Insel, nördlich von Sami, wieder an die Oberfläche zu kommen. Ein verrostetes Mühlrad zeigt, daß früher hier die Strömung des abfließenden Wassers zur Energiegewinnung genutzt wurde.
Im Norden der Insel liegt die Traumbucht von Myrtos, ein langer, breiter Sandstrand, eingerahmt von hohen Felsen. Das Meer leuchtet in einem Farbenspektrum von hell türkis bis dunkelblau. Nur wenige Autominuten entfernt, thront auf einem Berg hoch über der Insel die mächtige Burganlage von Assos. In dem schmalen Sattel zwischen der Halbinsel und dem Festland kauern malerisch die kleinen Häuser eines Fischerdorfes. Ein enges, aber befahrbares Sträßchen führt von der Hauptstraße in den Ort hinab.
Noch weiter nördlich liegt Fiscardo, der einzige Ort, der von dem tragischen Erdbeben verschont wurde und seine ursprüngliche Schönheit bewahren konnte. Die bunten Fassaden der Tavernen im alten Hafen spiegeln sich im dunkelblauen Wasser und ihre Konturen vermischen sich mit denen der kleinen Fischerboote. Soviel Schönheit sprach sich unter den Besuchern der Insel schnell herum und so ist, trotz des geringen Bekanntheitsgrades Kephallonias, Fiscardo deutlich touristisch geprägt.
Die Odyssee durch die griechische Inselwelt endet - wie in der klassischen Literatur - in der Heimat des Helden Odysseus. Vom Fährhafen Sami bringt die "Aphrodite", eine etwas angerostete Schönheit von Fährschiff, täglich Lastwagen, PKW’s und Passagiere auf die Nachbarinsel Ithaka. Der Kephallonia gegenüberliegende kleine Fährhafen Pisos Aetos besteht nur aus einer ins Meer gebauten Betonplattform, von der aus sich eine schmale Straße in starken Kehren den Berg hinaufschraubt. Hoch oben auf dem Berg soll einst der Palast des Odysseus gestanden haben. Wer den schweißtriefenden Aufstieg nicht scheut, wird sogar ein paar mächtige Zyklopenmauern erkennen.
Erholung bietet anschließend ein Aufenthalt in der wunderschön gelegenen und durch einen Fjord geschützte Hafenstadt Vathi. Mitten in der Hafenbucht liegt eine kleine Insel, zu der einst der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann und der britische Schöngeist und Philhellene Lord Byron jeden Morgen schwammen.
Südlich von Vathi lohnt das malerische Dörfchen Perachori einen Besuch. Auch, wenn auf den ersten Blick die engen Gassen schrecken, das Reisemobil schafft den Weg bis zur neuen Kirche, wo der im Frühling mit zahllosen Blumen bewachsene Wanderweg nach Paleochori beginnt. In der zerfallenen Kirche dieses Ruinendorfes steht - den Unbilden der Witterung ausgesetzt - eine Ikonostase mit wunderschönen Fresken verschiedener Heiliger. Einige sind schon reichlich verwittert, andere lassen noch die Kunstfertigkeit ihrer mittelalterlichen Schöpfer erkennen.
Otmar Steinbicker