Mit dem Reisemobil durch die Alpilles nach Arles
Zwischen Avignon und dem Rhône-Delta liegen als landschaftliche Besonderheit die Alpilles. Der Begriff ist eine Verkleinerungsform von Alpen. „Älpchen“ wäre womöglich eine treffende deutsche Übersetzung, denn die Alpilles sind mit ihren Gipfeln von 300 bis 500 Metern weder besonders hoch noch mit 30 Kilometern in West-Ost-Richtung und 10 Kilometern in Nord-Süd-Richtung sonderlich ausgedehnt. Und doch sind die verkarsteten Bergspitzen der Kalksteinkette überaus imposant.
In und um Les Baux, der „Hauptstadt“ der Alpilles ist es selbst außerhalb der Saison nicht einfach, einen Parkplatz zu ergattern. Schließlich besteht die Altstadt fast ausschließlich aus touristischen Angeboten: Restaurants und Imbisse, anspruchsvolle kunsthandwerkliche Boutiquen und einfache Souvenirshops – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Und es gibt entsprechend viele Besucher. Einheimische scheinen dort kaum noch mehr zu leben.
Dennoch lohnt ein Besuch in Les Baux, das zu den schönsten Dörfern Frankreichs mit dem Label „Les plus beaux villages de France“ gehört. Schließlich liegt der Ort auf einem 220 Meter hohen Plateau, das die Ebene der Crau zwischen den Alpilles und Arles überragt und eine dementsprechend überragende Aussicht bietet.
Und dann ist da die alte Burgruine, deren mittelalterliche Herrscher über 79 Orte in der Umgebung geboten. Im 12. und 13. Jahrhundert auf dem Höhepunkt der Minnekunst zogen Troubadoure aus ganz Frankreich und darüber hinaus nach Les Baux. Die Fürsten dieses Ortes sahen sich als Nachkommen eines der Heiligen Drei Könige und führte den Stern von Betlehem in ihrem Wappen. Später kam die Burg in den Besitz der Familie Grimaldi, die über Monaco herrscht und heute noch immer den Titel der Grafen von Les Baux führen.
Eher etwas für Kenner ist der mit dem AOC-Label geschützte Wein „Les Baux-de-Provence“ und das besonders hochwertige, ebenfalls AOC- geschützte Olivenöl. Das Mineral Bauxit, das 1822 hier entdeckt wurde und aus dem Aluminium gewonnen wird, trägt noch immer den Ortsnamen, kann längst auf anderen Kontinenten billiger abgebaut werden. Seine Förderung wurde Mitte des 20. Jahrhunderts eingestellt.
Der kleine Ort Fontvieille auf halber Strecke zwischen Les Baux und Arles ist bekannt für die „Moulin de Daudet“. Der Schriftsteller schrieb dort aus einer Windmühle seine „Lettre du mon moulin“, die Briefe aus der Mühle. Die alte Mühle war noch bis 1915 in Betrieb und wird heute gerne besichtigt. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein sehr ruhiger Reisemobil-Stellplatz.
In Arles kommen wir in die größte Stadt Frankreichs, sieben Mal größer als Paris! Jedenfalls der Fläche nach, denn das dünn besiedelte Rhône-Delta, die Camargue, gehört in weiten Teilen zum Stadtgebiet von Arles.
An ihrer Bedeutung gibt es keinerlei Zweifel. Sie besitzt die meisten der wichtigsten römischen Baudenkmäler Frankreichs und sie war sogar unter Kaiser Konstantin 395 nach Christus zeitweise die Hauptstadt Galliens und 402 sogar des weströmischen Reiches. Damals war Paris unter dem Namen Lutetia eine wenig bedeutende Provinzstadt.
Trotz ihrer immensen Bedeutung und ihrer herausragenden Sehenswürdigkeiten hat Arles im Unterschied zu anderen touristisch stark frequentierten Orten bisher seine Identität und seinen Charme bewahren können.
Gerne bleiben wir mehr als einen Tag in der Stadt. Die großen Sehenswürdigkeiten in dem kleinen Stadtzentrum sind zwar an einem Tag zu besuchen, falls man sich wenig Zeit nehmen möchte, aber diese Stadt auf sich wirken zu lassen, benötigt mehr Zeit. Der Stellplatz auf dem gegenüberliegenden Rhône-Ufer ist ruhig und zugleich zentrumsnah – ein guter Ruhepol und Ausgangsort. Wir hatten sogar das Glück, von genau diesem Stellplatz aus ein außergewöhnliches Abendlicht zu erleben, das für ganze 15 Minuten die Stadt erfüllte.
Natürlich gehört die römische Arena zum Besichtigungsprogramm. Das um 90 n. Chr. erbaute Amphitheater mit einem Durchmesser von 140 mal 103 Metern wird noch heute für Stierkämpfe genutzt, sowohl für die blutige spanische Corrida als auch für die unblutige, sehr sportive Course Camarguaise. Eine Besichtigung ermöglicht auch, die weiten, langgezogenen Gänge auf den unterschiedlichen Etagen zu besuchen.
Das nahegelegene römische Theater, unter Kaiser Augustus um 25 vor Christus erbaut, ist noch weitgehend erhalten, wenn auch ohne die imposante Szenewand wie in Orange. Von den 12.000 Sitzplätze auf 33 Sitzreihen lassen sich heute vor allem Konzerte verfolgen.
Ein Zentrum absoluter Ruhe ist die antike Nekropole Les Alychamps. Steinsarkophage aus römischer und christlicher Zeit reihen sich entlang der Allée des Tombeaux aneinander. Wer die schönsten, reich bebilderten Sarkophage sehen möchte, muss einen Besuch im überaus sehenswerten Musèe d’Arles Antique einplanen, indem es auch weitere beeindruckende Funde aus der Römerzeit zu sehen gibt, darunter ein rund 30 Meter langes römisches Frachtschiff.
Aus dem Mittelalter stammt die bedeutende Kirche Saint-Trophime, deren Langhaus, Turm und Fassade in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im romanischen Stil und zum Teil mit Steinen aus dem antiken Theater erbaut wurde.
Das berühmte Portal gilt als Hauptwerk der provencialischen Plastik der Hochromanik. Zwischen den Freisäulen an den Seiten stehen überlebensgroße Standbilder der Apostel. Das Tympanon zeigt Christus als Weltenrichter, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten.
Der Eingang zum außerordentlich sehenswerten Kreuzgang des Ehemaigen Klosters befindet sich einige Meter rechts von der Kirche. Der Kreuzgang wurde zwischen 1130 und dem 14. Jahrhundert mit romanischen und zwei gotischen Galerien errichtet. Säulen sind mit fein gearbeiteten Kapitellen geschmückt, die unter anderem Szenen aus Bibel darstellen. Sie wurden vor einigen Jahren gründlich restauriert und gereinigt. Inzwischen erstrahlen sie in vollem Glanz.
Otmar Steinbicker