Italien

Mit dem Reisemobil durch Kalabrien

Bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein konnten Reisende Kalabrien im tiefen Süden Italiens nur mit dem Schiff oder dem Maultier erreichen. Straßen oder Eisenbahnen waren unbekannt. Noch heute gelten abseits der Autobahn deutsche Reisemobile als Sensation. Otmar Steinbicker hat sich in der wenig bekannten Region umgesehen.

Tropea, Santa Maria. Fotos: Otmar Steinbicker

Kalabrien bietet sich dem Reisenden nicht einfach dar, es will entdeckt werden. Zumeist zerstörte oder verfallene Schlösser von Normannen, Staufern und Aragoniern sowie Festungsbauten an der Küste zum Schutz gegen Sarazenenüberfälle weisen zwar schon von weitem auf die Geschichtsträchtigkeit der Region hin, anderes findet man jedoch eher durch Zufall.

In der verwinkelten Altstadt von Scalea, die sich in Stufen den Hang hinaufzieht, macht ein kleiner handschriftlicher Zettel auf eine byzantinische Basilika aus dem 13. Jahrhundert aufmerksam. Wer sich dafür interessiert, soll bei Familie Grisolla klingeln. Der junge Mann, der über den Schlüssel zur Kirche verfügt, zeigt die alten, zum Teil zerstörten Fresken, die in bis zu drei Schichten übereinander liegen und Heilige darstellen. Hin und wieder sind noch einige griechische Wortfetzen erkennbar. Über lange Zeit war dieses Gotteshaus als Mühle benutzt worden. Wo früher einmal der Altar stand, liegen noch immer zwei große Mühlsteine. Ein Esel zog hier einst seine Kreise.

Scalea

Vom normannischen Kastell der Stadt sind nur wenige Überreste stehen geblieben. Dafür entschädigt die Aussicht auf den weiten Strand von Scalea und den Torre Talao, einen Festungsturm an der Küste, der einst Sarazenenüberfälle abwehren sollte. Zerstörte oder verfallene Schlösser von Normannen, Staufern und Aragoniern säumen in stattlicher Anzahl die Küste im Nordwesten Kalabriens. In Cirella ist es eine ganze Stadt, die schon im Altertum von Hannibal und später von Napoleon zerstört wurde. Ihre letzten Trümmer zerfallen allmählich, ohne dass sich irgendjemand darum zu kümmern scheint.

Gefährdet sind auch die wunderschönen Figurengruppen aus Tuffstein im kleinen Höhlenkirchlein Piedigrotta am Strand von Pizzo. Vieles ist schon im Laufe der Zeit von Salz und Feuchtigkeit zerfressen. Doch was überdauert hat, ist beeindruckend: In einer Seitenkapelle steht ein Priester von Engeln umgeben an einem geschmückten Altar. Gegenüber fällt der Blick durch einige Höhlenformationen auf eine umfangreiche Krippendarstellung, an anderer Stelle tötet Sankt Georg den Drachen. Nicht aus Tuffstein ist ein besonders verehrtes Madonnenbild, das von einem im 17. Jahrhundert untergegangenen Segelschiff an Land gespült wurde. Die Besatzung, die gerettet werden konnte, hatte die Kirche ins Tuffgestein gehauen.

Lebensmittelladen in Tropea

Touristisch erschlossen sind die südlicher gelegenen Strände von Tropea, die zu Recht zu den schönsten Italiens zählen. In den Straßen bieten zahlreiche Geschäfte für die Region typisches Kunsthandwerk und Lebensmittel. Wer Käsespezialitäten sucht, sollte hier nach dem Butiro fragen. Dieser ausschließlich in Kalabrien produzierte Käse hat die Größe und Form einer Birne, einen sehr milder Geschmack und enthält im Inneren Butter.

Ein Abstecher lohnt zum Capo Vaticano, einem Felsvorsprung, der eine ausgezeichnete Aussicht auf eine der traumhaftesten Küstenlandschaften und weit über den Golf von Gioia bietet. Am Horizont zieht sich über viele Kilometer die Küste Kalabriens. Weiter südlich bei Palmi beginnt die Costa Viola, ein etwa 50 Kilometer langer Küstenstreifen, an dem das Wasser eine violette Färbung annimmt. Hier liegt Bagnara Calabra, das Zentrum des Schwertfischfangs. Wenn die Fischer morgens von großer Fahrt zurückkommen, bieten sie die mannsgroßen Fische auch scheibchenweise zum Verkauf an.

Scilla

Bei Scilla taucht jenseits der Meerenge von Messina die Küste Siziliens auf. Die 33 Kilometer lange und an der engsten Stelle nur drei Kilometer breite Wasserstraße war in der Antike gefürchtet wegen der starken Winde, der unregelmäßigen Strömungen und der gewaltigen Strudel. Odysseus ließ der Sage nach bei der Durchfahrt durch die Meerenge seinen Matrosen die Ohren verstopfen und sich selbst einem Mast festbinden, um den verführerischen Tönen der Sirenen Scylla und Charybdis zu lauschen, ohne vom Kurs abzuweichen. Die Stadt Scilla wird seit dem Mittelalter von einer mächtigen Festung überragt. Vor dem alten Fischerviertel Chiamalea erstreckt sich der Badestrand ins tiefblaue Meer.

Die Provinzhauptstadt Reggio di Calabria ist allein wegen ihres Nationalmuseums eine Reise wert. Hier sind die berühmten griechischen Bronzestatuen ausgestellt, die erst 1972 vor der Küste von Riace im Ionischen Meer gefunden wurden. Die überlebensgroßen Statuen sind von einem unbekannten Künstler im 5. Jahrhundert vor Christus mit sehr viel Liebe zum Detail und unter Einsatz unterschiedlicher Materialien gefertigt worden. Zusätzlich zur Bronze sind Kupfer für Lippen und Brustwarzen, Elfenbein für die Augen und Silber für die Wimpern eingesetzt. Die wenigen ausgestellten Funde aus den bisher noch kaum ausgegrabenen griechischen Kolonialstädten wie Locri und Sybaris lassen noch weitere Schätze erwarten.

Aspromonte

30 Kilometer lang zieht sich steil und kurvig die Straße von Reggio di Calabria hoch ins Bergmassiv des Aspromonte. So langsam die Reisenden auch vorwärts kommen, sie scheinen durch die Klimazonen zu rasen. Die haushohen Gummibäume an der Küste sind schon bald verschwunden, große Kakteenhecken säumen noch eine Weile den Straßenrand, doch nach und weicht alle mediterrane Vegetation. Üppige Kiefern- und Laubwälder breiten sich aus und das Thermometer fällt von 35 Grad an der Küste auf 18 Grad in dem 1.300 Meter hoch gelegenen Gambarie.

Hier gibt es in den Souvenirgeschäften Kuhglocken zu kaufen und im Lebensmittelgeschäft Karamelbonbons mit der deutschsprachigen Aufschrift "Alpenliebe". Sonntags scheint sich hier halb Reggio von der drückenden Hitze zu erholen. Ein Sessellift führt bis auf 1.670 Meter hinauf und ermöglicht bei gutem Wetter eine traumhafte Aussicht auf den Ätna und über Sizilien hinaus auf die äolischen Inseln.

Vorbei an Pentedattilo, einem malerisch auf einem Sandsteinfelsen gelegenen Dorf, wird bei Melito der südlichste Punkt des Stiefels erreicht. Hier, wo Italien zu Ende ist, haben sich in zahlreichen Orten griechische Bevölkerungsgruppen mit ihrer Kultur und Sprache gehalten. Sprachforschern zufolge soll es sich um direkte Nachfahren der griechischen Kolonisatoren von vor fast 3.000 Jahren handeln.

Die Küste hier unten am Ionischen Meer lädt, wie kaum sonst irgendwo, zum Baden ein. Die Strände gehören zu den saubersten des ganzen Mittelmeeres und sind kaum besucht. Bei Nuova Africa scheinen ganze Strandkilometer den seltenen Gästen allein zu gehören.

Stilo

Und doch gibt es in dieser scheinbar verlassenen Gegend Spuren großer Kultur. Die griechische Kolonie Locri, von der leider nur ein sehr kleiner Teil ausgegraben ist. Warum nach viel versprechenden Funden, darunter 37 Bronzetafeln mit dem Archiv der antiken Stadt, die Ausgrabungen nicht mit Vehemenz weitergeführt wurden, bleibt eines der Rätsel des Mezzogiornio.

Weiter nördlich in Stilo in Stilo steht eine der besterhaltenen byzantinischen Kirchen aus dem 10. Jahrhundert. Deutlich erkennt man das traditionelle Schema, wie es von Kleinasien überliefert ist. Der quadratische Grundriss wird von vier Marmorsäulen in neun kleinere Quadrate aufgeteilt, fünf davon sind mit zylinderförmigen Kuppeln bedeckt, die anderen vier mit Tonnengewölben, die im Inneren ein griechisches Kreuz bilden.

Bei Soverato wird wieder Tourismus spürbar. An wunderschönen Stränden wir die nötige Infrastruktur geboten und die größte Konzentration von Campingplätzen findet sich bei Isola di Capo Rizzuto, einem der wenigen FKK-Zentren Italiens.

Doch genug der Küste. Nur eine Dreiviertelstunde vom Meer entfernt liegt die Sila, das größte Hochplateau Europas auf einer Höhe von 1.300 bis 1.600 Metern. Bergkühe mit großen Glocken tauchen auf der Straße auf. Der Bauer Pisano Rocco kommt Sommer für Sommer, wie Generationen vor ihm, mit seinen hundert Rindern von der ionischen Küste in die Sila und betreibt von Juni bis Oktober dort mit seiner fünfköpfigen Familie eine Käserei. Reich wird er dabei nicht, denn da die Kälber tagsüber nicht von den Kühen getrennt werden, gibt jede Kuh nur etwa drei Liter Milch pro Tag. Im Juni, wenn die Gräser und Kräuter schön saftig sind, etwas mehr, in den trockenen Monaten Juli und August weniger. Die gesamte Käseproduktion liegt bei 30 Kilogramm täglich.

In der Sila

In einem Naturschutzgebiet nahe des Cecita-Stausees stehen die „Riesen der Sila“, 500 Jahre alte Fichten mit einer Höhe von über 40 Metern und mit einem Durchmesser von bis zu 2 Metern.

Die weitere Fahrt führt durch den Nationalpark, wo es noch etwa 100 Wölfe geben soll. Beim Verlassen der Hochebene zeigt ein Straßenschild Gefälle an, allerdings ohne eine Zahl vor dem Prozent-Zeichen. Irgendjemand hat "60" hingekritzelt. Doch das Lachen vergeht den Reisenden bald, denn das Gefälle ist so stark, dass die Wirkung der Motorbremse im ersten Gang zum Einsatz kommen muss, um nicht haltlos in die Tiefe zu rasen.

In Longobucco, einem kleinen Ort am Fuße der Sila, hat das Weberhandwerk jahrhundertealte Tradition. Vor allem Teppiche aus Schafwolle werden hergestellt. Wie seit Jahrhunderten wird die Wolle gefärbt mit Farben, die aus Gräsern, Hanf oder Nussbaum gewonnen wurden. Jedes Webstück ist ein Unikat, niemals wird ein Muster in der gleichen Farbe wiederholt und jedes Muster hat seine Geschichte, so symbolisiert der Teppich mit dem Muster „Die Gerechtigkeit“: Zwei Tauben auf einer Waage symbolisieren das Abwägen des Urteils und Streifen deuten die Kette des Richters an. Das Motiv geht auf die zwanziger Jahre zurück, als ein junger Mann unschuldig unter Mordanklage stand. Seine Mutter gelobte damals, ein Webmotiv zu entwerfen, falls er freigesprochen würde. Sie hat ihr versprechen gehalten.

Die Kathedrale von Rossano am Ionischen Meer beherbergt mit dem „Codex Purpureus“ eine der ältesten christlichen Handschriften, vermutlich aus dem 6. Jahrhundert mit Darstellungen aus der Bibel, wie der Wiedererweckung des Lazarus oder dem letzten Abendmahl. In einem Nebenraum der Kirche nimmt sich ein Archivar für jeden der wenigen Besucher Zeit, um ihm unter Glas das kostbare Stück zu zeigen und die Details der Bilder zu erläutern.

Otmar Steinbicker

Anreise

Autobahn über Rom, Neapel nach Süden. Autobahngebühren werden südlich von Neapel nicht mehr erhoben.

Camping

In touristisch erschlossenen Gebieten bietet fast jeder Ort an der Küste einen Campingplatz. Die Lage ist oft gut, die Qualität jedoch manchmal bescheiden.

Reisezeit

Es gibt drei Klimazonen: Die tyrrhenische Küste im Westen ist warm, aber gemäßigt im Sommer, die ionische Küste ist heiß und die Bergzone hat alpines Klima.

Die schönste Zeit ist von März bis Mai. Dann blüht alles und die Temperaturen bewegen sich noch unter der 30-Grad-Marke. Im Sommer ist das Land unter der sengenden Hitze ausgedörrt. Der Herbst ist von den Temperaturen her wieder erträglich.

Sehenswertes

Museum in Reggio Calabria; Museen und Ausgrabungsgelände in Locri und Sibari; Schlösser von Normannen, Staufern und Aragoniern sowie Festungsbauten an der tyrrhenischen Küste. Diözesanmuseum in Rossano; Ruinengelände von Cirella; Höhlenkirche Piedigrotta in Pizzo; Wallfahrtskirche von Paola; Kathedrale Dell'Assunta in Gerace; Pfarrkirche La Cattolica in Stilo.

Strände

Die mehr als 800 Kilometer Küste bieten lange, wenig genutzte Sandstrände. Nur hin und wieder sind einige Parzellen mit Sonnenschirmen bestückt, die an Badegäste vermietet werden. Die Abschnitte außerhalb dieser Parzellen werden nicht gepflegt und sind teilweise schmutzig.

Die Strände bei Tropea gehören zu den schönsten Italiens. Sehr schön aber einsam sind die Strände bei Nuova Africa ganz im Süden am Ionischen Meer.

Trinkwasser

Das Wasser aus dem öffentlichen Netz ist nicht überall trinkbar. Für Trinkwasser ("aqua potabile") gibt es oftmals spezielle Wasserstellen, meist eine Art Hydrant.

In der Regel hat jeder Ort eine solche Wasserstelle. Wo nicht, geben die Bewohner gern den nötigen Tipp.

Wer seinen Tank füllen will, wird selten an den Wasserstellen einen Schlauch anschließen können. Eine Gießkanne hilft da weiter.

Essen und Trinken

Hauptbestandteile der kalabrischen Küche sind Fisch und Gemüse. Als Fleisch wird zumeist Lammfleisch und Schweinefleisch, zusammen mit den verschiedenen Wurstwaren serviert. Auberginen, Zwiebeln und Pilze werden auf tausend verschiedene Arten zubereitet und immer mit dem örtlichen Olivenöl angemacht.

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